Trauerphasen und Veränderungsprozesse verstehen
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Veränderungen im Leben sind unvermeidlich und manchmal extrem herausfordernd. Gewohnheiten, Gewissheiten und Perspektiven kommen ins Straucheln oder werden jäh zerbrochen. Die größte Infragestellung stellt sicherlich die Verlust-Erfahrung eines nahen Menschen dar. Trauer ist eine natürliche Reaktion und umfasst eine Bandbreite von Gefühlen wie Schmerz, Wut, Verzweiflung oder auch Schuld.
Sterbe- und Trauerphasen
Auch allgemeine Veränderungsprozesse verlaufen ähnlich – wenn auch nicht so existentiell. In abgeschwächter Form finden findet auch hier eine Auseinandersetzung mit dem Verlust von Routinen oder Sicherheiten statt – sei es der Verlust eines Arbeitsplatzes, das Ende einer Beziehung oder der Abschied von gewohnten Lebensumständen. Trauer ist ein aktiver und höchst individueller Prozess. Er hilft dabei, den Verlust nicht nur in den Alltag zu integrieren, sondern ermöglicht darüber hinaus, neue Lebensdeutungen und Handlungsalternativen zu entwerfen.
Um die Begleitung von Trauerprozessen zu unterstützen, hat die Psychologin Elisabeth Kübler-Ross ein Modell von fünf Sterbephasen entwickelt.
Phasen in Anlehnung an Kübler-Ross
- Der Verlust wird geleugnet: „Das kann nicht wahr sein!“
- Emotionen wie Wut, Zorn, Frustration oder die Suche nach Schuldigen treten auf: „Warum passiert das ausgerechnet mir?“
- Die betroffene Person versucht, den Verlust rückgängig zu machen oder ihn zu umgehen. „Vielleicht kann ich doch noch etwas ändern.“
- Eine depressive Traurigkeit und der Rückzug prägen diese Phase: „Es ist alles sinnlos.“
- Der Verlust wird angenommen, und es entsteht Raum für Heilung und Neuausrichtung: „Es ist, wie es ist, und ich finde einen Weg.“
Weiterhin finden sich Modelle sogenannter Trauerphasen (z.B. Verena Kast) oder Traueraufgaben (J. William Worden). Nach dem sogenannten „Dualen Prozessmodell“ nach M. Stroebe und H. Schut geht man von einem wechselseitig verlaufenden Prozess zwischen einem verlustorientierten und einem wiederherstellungsorientierten Pol der Trauer aus.
Diese und andere Schemata sind wissenschaftlich zwar nicht unumstritten, sie veranschaulichen aber, dass Verlust- und Veränderungsprozesse nicht linear verlaufen. So können unterschiedlichste Reaktionen oder Wiederholungsschlaufen als organisch und dazugehörig erlebt und gegebenenfalls leichter angenommen werden.
Es kann entlastend wirken, die Vielfalt der unterschiedlichen Aspekte solcher Prozesse in einer Übersicht zu veranschaulichen. Trauernde und in Umbrüchen stehende Menschen können sich verorten, zurückblicken und vielleicht sogar nach vorne schauen. Schwer zu kommunizierende Gefühle bekommen einen Ort, von dem aus sie sich leichter betrachten lassen.
Phasen im Change-Management
Interessant und zugleich wenig verwunderlich ist die Tatsache, dass sich ganz ähnliche Schemata auch im Veränderungsmanagement finden lassen – hier nur wesentlich rationaler und weniger gefühlsbasiert. So benennt beispielsweise das sogenannte „House of Change“ von Claes F. Janssen) die vier Zimmer
- „Zufriedenheit/Komfort“
- „Ablehnung“
- „Verwirrung“ und
- „Erneuerung“
Es ließen sich aber ebenso passend die Phasen der „Theorie U“ nach Otto Scharmer heranziehen:
- „Downloading“ & „Seeing“ (begrenzte Denk- und Verhaltensmuster der Vergangenheit erkennen),
- „Sensing“ (eine Offenheit entwickeln), „Presencing“ (die gegenwärtigen Ressourcen wahrnehmen),
- „Crystalizing“ (das Wahrgenommene verdichtet konkretisieren), „Prototyping“ (sich neu ausprobieren),
- „Creating“ (Lösungen umsetzen)
Phasen im Storytelling
Und drittens schließlich kann man Parallelen zu den Erzählphasen erkennen, wie sie der Literaturwissenschaftler Joseph Campbell herausgearbeitet hat. Diese spiegeln letztlich die Struktur wieder, die Menschen seit Urzeiten geholfen hat, herausfordernder Umwälzungen und Veränderungen neu zu deuten und damit bisherige Wirklichkeitskonstruktionen zu einem umfassenderen Weltbild zu nutzen.
-> Sieh Dir das Video zur Heldenreise an
Schemata geben Orientierung
Modelle helfen Menschen sich zu orientieren, in komplexen Situationen kleinschrittig voranzugehen und den begrenzten Blick über die aktuelle Situation hinaus zu weiten. Sie selbst bleiben jedoch nur ein Behelfskonstrukt und sollten nicht mit der Wirklichkeit verwechselt werden: Veränderung und Trauer laufen sicherlich phasenweise ab, aber gewiss nicht linear und nach einem festen Schema. Sie geben jedoch Entlastung, weil sie veranschaulichen, dass bestimmte Phasen und Emotionen dazu gehören und wichtiger Bestandteil im Prozess der Verarbeitung von Vergangenheit und Gegenwart sind.
Visualisierung der Phasen
Ich habe versucht, die Phasen von Trauer und Veränderung in einer Grafik so zu visualisieren, dass sie weniger technisch, statisch oder funktional erscheinen. Entstanden ist ein Kreis, der Assoziationen zu (Sonnen-)Strahlen, einer Blume oder auch Stufen einer Wendeltreppe wecken kann. Dadurch wird der sich zyklisch wiederholende Charakter von Veränderungsprozesse betont.
-> Sieh Dir mein Video zur Visualisierung der einzelnen Phasen an
- Der 6-stufige Zyklus greift die oben genannten Modelle aus der Trauerbegleitung, des Storytellings und der Change-Theorien auf
- Das Fragepaar Warum/Wozu in der Mitte illustriert die sich möglicherweise im Prozess verändernde Fragestellung, in der die trauernde Person sich nicht nur als Fragende, sondern zugleich auch als Gefragt erlebt und einen neuen Auftrag erkennt (vgl. duales Prozessmodell nach Stroebe/Schut)
- Die vier äußeren Kreise lehnen sich an die sogenannten „Traueraufgaben“ nach J. W. Worden an.
- Die zwei unterschiedlichen Varianten der Karte wollen dem möglichen Beratungskontext gerecht werden: Als „Trauer-Karte“ ist die Visualisierung in eher tragenden und beruhigenden Farben gestaltet, als „Wandel-Karte“ kommt sie dagegen inspirierend bunt daher.
Die Karte selbst stellt kein eigenständiges Instrument dar, sondern dient lediglich der Visualisierung und Einordnung von Themen, Emotionen und Perspektiven. Damit aber kann sie die fachkompetente Beratung und Begleitung sehr anschaulich und begreifbar unterstützen. Sie ermöglicht besonders in komplexen Situationen Neuorientierung und hilft die emotionale Betroffenheit zu thematisieren.