Triathlon und Spiritualität Dr. Helmut Jansen

Warum ich Triathlon mache

Ich bin ja nicht nur leidenschaftlich Supervisor und Coach, sondern auch Triathlet und Theologe. Das brachte mir eine Anfrage zu einem Artikel über „Triathlon und Spiritualität“ ein, der ich gerne nachgekommen bin. Auszüge aus dem Artikel, der in der „Lebendigen Seelsorge“ (1.2023; Sport und Spiritualität) erschienen ist, will ich hier veröffentlichen.

„Wozu nur machst Du das? Und vor allem auch: Wie? Ist das nicht unglaublich zeitintensiv? Und musst Du nicht viel zu viele Einschränkungen dafür in Kauf nehmen?“ Diese Fragen könnten an einen zölibatär oder asketisch lebenden Menschen gestellt werden. Hier geht es aber nicht um ein aktiv-überzeugtes Glaubensleben, sondern ganz profan um Triathlon. Interessant, dass auch mir als Triathleten diese Fragen gestellt werden.

Triathlon. Das muss nicht unbedingt die Langdistanz über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und schließlich 42 Kilometer Laufen bedeuten, wie viele es von der Ironman Weltmeisterschaft auf Hawaii kennen. Es gibt auch wesentlich kürzere Distanzen für die drei Disziplinen. Doch der große Respekt bzw. das Kopfschütteln resultiert aus der schwer vorstellbaren körperlichen und mentalen Anstrengung einer Langdistanz und dem notwendig zeitintensiven Training.

Der Theologe und Triathlet Thomas de Nocker hat einmal den passenden Vergleich gezogen, dass Triathlet*innen wie die Asket*innen des 21. Jahrhunderts wirken: Ein fester und durchstrukturierter Tages- und Trainingsrhythmus lässt wenig Ablenkungen zu. Die Nahrung ist sorgfältig ausgewählt. Alles folgt einer strengen Regel im Wechsel aus Trainingsreiz und Regeneration. Es bedarf einer extremen Entschlossenheit über mehrere Jahre, um sich möglicherweise für den Ironman auf Hawaii zu qualifizieren. Im Mekka des Triathlon angekommen, trifft man dort auf ähnlich durchtrainierte Körper, die den Lohn aller Entsagungen präsentieren.

Gibt es eine spirituelle Dimension im Traithlon?

Es gibt nicht wenige, die im Triathlon tatsächlich ihren Lebenssinn sehen oder zumindest dem Sport den ersten Platz im Leben einräumen (und manche Partnerschaften sind daran schon zerbrochen). Aber das sind die Extreme, die es sicherlich in allen Lebensbereichen gibt – auch im Glaubensleben. Doch darum soll es hier nicht gehen. Vielmehr frage ich mich: Gibt es eine spirituelle Dimension im Triathlon? Schließlich findet man in der Literatur doch allein für die dritte Disziplin, das Laufen, schon unzählige Verweise über die rein sportlichen Aspekte hinaus. Im Buch Philosophie des Laufens heißt es in der Einleitung: „Für viele ist Laufen auch ein Weg, um Wahrheiten zu finden über sich selbst und die Dinge in ihrem Leben, die ihnen etwas bedeuten. Für viele von uns ist Laufen ein Weg, sich selbst kennenzulernen, ein Teil unseres Weges zum Glücklichsein“ (Austin 2018, 14). Und der japanische Autor Haruki Murakami schreibt: „Die meisten laufen nicht, weil sie länger leben wollen, sondern weil sie ein schöneres Leben führen wollen. Ist es nicht viel angenehmer, zehn Jahre mit klaren Zielen und voller Vitalität zu verbringen als nur in den Tag hineinzudämmern? Ich glaube das Laufen verhilft dazu.“ (Murakami 2010, 76).

Triathlon Helmut Jansen Ironman Frankfurt

Laufen fördert die Gesundheit und wirkt sich – ähnlich wie Beten – neuronal entlastend aus. Das zumindest hat Stefan Schneider in seiner Dissertation Ist Laufen Beten? aufgezeigt: „Fakt ist, dass die körperliche Bewegung hilft abzuschalten, Stress und negative Emotionen loszuwerden und den Kopf frei zu bekommen“ (Schneider 2013, 47). Hinzu kommt, dass mit Hilfe der (anstrengenden) körperlichen Tätigkeit Komplexitäten des Alltags zumindest für den Moment ausgeblendet werden können, weshalb dem Sport mitunter ein quasireligiöser (wenngleich weltflüchtender) Status oder zumindest ein Sinnangebot zugesprochen wird (vgl. Bette, 202). 

Hier ließe sich noch einiges mehr zitieren und tatsächlich kann man den Laufsport (und sicher auch den Triathlon) als Zugang zu einem anderen (spirituellen) Bewusstsein beschreiben. Man muss es aber nicht.

Als Kontrastfolie möchte ich deshalb aus John L. Parkers Roman Cassidys Lauf zitieren: „Die Ansichten der marginalen Freizeitläufer, der Laufphilosophen, der Trainingsratten interessierten ihn nicht – Leute, die eifrig geschwollene, nichtssagende Artikel in Runners World lasen, immer wieder neue hohle Phrasen erfanden, um das Unbeschreibbare zu umschreiben und mystischen Schwachsinn verzapften über die verschiedenen Stadien der Euphorie, die nur Eingeweihten vorbehalten waren. […] Cassidy war nicht auf der Suche nach euphorischen Momenten. Sie kamen, wenn sie kamen, ganz von selbst, und er genoss sie in Stille. Er lief nicht aus verschrobenen, religiösen Überlegungen heraus, sondern um Rennen zu gewinnen, um so schnell wie möglich voranzukommen. Nicht nur um besser zu sein als seine Artgenossen, sondern besser als er selbst. […] Wenn er seine eigene Schwäche, seine eigene Faulheit überwinden konnte, brauchte er sich um den Rest keine Sorgen zu machen – der kam von selbst. Trainieren war ein Reinigungsritual, das Schnelligkeit brachte, Schnelligkeit und Kraft. Ein Rennen war ein Sterbensritual, ein Quell des Wissens. […] Er war kein Gesundheitsfreak, er war auch nicht auf einen stilvollen und schlanken Körper aus. […] Quenton Cassidy wusste, was die mystischen Läufer, die Jogger die Laufpoeten, die Zenläufer und andere solche Läufer behaupteten. Aber er wusste auch, dass diese euphorischen Typen an dunklen, regnerischen Morgen meistens nirgendwo zu sehen waren. Sie redeten lieber darüber, als es wirklich zu tun. […] Er lief, um zu gewinnen, und wenn er dabei tot umfiel. Er konnte wenig mit den Leuten anfangen, die diese niedere Form von Motivation ablehnten“ (Parker, 139 f.).

Um es mit meinen Worten zu sagen: Laufen ist kein Dosenöffner, kein Garant für spirituelle Erfahrungen. Laufen ist Laufen. Und sobald es verzweckt und funktionalisiert wird, beraubt man sich selbst vieler positiven Nebeneffekte, die sich sonst ab und an ganz von allein einstellen.

Aber zurück zum Triathlon: Als ich nach meiner ersten Langdistanz beim Ironman in Frankfurt im Ziel ankam, hatte ich ein Gefühl, das weit über Stolz und Zufriedenheit hinaus ging: Ich würde es am ehesten mit ‚Erfüllung‘ oder auch ‚Erfolg‘ umschreiben. Und dieses Gefühl hielt noch Wochen an: Ich hatte etwas für mich doch eigentlich Unvorstellbares erreicht. Ich hatte monatelang auf dieses eine Ziel hintrainiert. Jede einzelne Trainingseinheit war wie ein Mosaikstein eines großen Bildes. Und in den gut elf Stunden, die ich im Wettkampf unterwegs war, formte es sich nach und nach zu dem, was es wurde. Es war ein sehr langsamer und körperlich-mental intensiver Prozess.

Triathlon bietet einen hervorragenden Rahmen für selbstreflexive Prozesse – allein schon weil ich viel Zeit in den Sport investiere, aber auch weil mir gerade die langen Distanzen viel abverlangen.

Und vor allem für Späteinsteiger wie mich im mittleren Alter ist die intensive Auseinandersetzung mit sich selbst mitunter auch der Anlass, mit dem Ausdauersport zu beginnen. In dem sehr lesenswerten Buch von Michael Stocks, der in einem sogenannten 24-Stunden-Rennen (auf der 400-Meter-Bahn!) über 240 Kilometer am Stück gelaufen ist, resümiert dieser: „Irgendwann in meinem Leben kam eine Zeit, in der die Tage und Wochen zunächst einfach vorüberzogen, um schließlich immer schneller zu verfliegen. Mir wurde klar, dass das Leben endlich ist, und am Ende jeder Woche zog ich Bilanz. War ich glücklich gewesen? Hatte ich jeden Moment bewusst gelebt? Kostete ich mein Leben vollständig aus?“ (Stocks 2022, 50) Für Stocks sind es die Herausforderungen, die ihm das Gefühl vermitteln, am Leben zu sein. Die Frage, warum er läuft, hat er sich selbst nie gestellt. Aber er hat diese Frage natürlich häufig gehört. Für ihn mag es viele Gründe geben, aber keiner sticht allein hervor. Er schreibt: „Womöglich lautet die eigentliche Antwort schlicht, dass es mir wie eine gute Idee vorkommt, zu laufen – und dass es nur eine Möglichkeit gibt, sich über das Warum klar zu werden: indem man selbst läuft“ (ebd., 118).

Frank-Martin Belz ist der Frage nach dem Warum des Triathlons nachgegangen. Er hat Posts in den Sozialen Medien ausgewertet und Interviews geführt. In seinem Buch Challenge Ironman benennt er acht sinngebende Aspekte des Triathlonsports: Steigerung des Selbstwertgefühls und Selbstfindung; soziale Anerkennung; Verbesserung der sportlichen Leistung; Intensität der Körpererfahrung; Naturerlebnisse; Reisen; Freundschaften und Zugehörigkeit (vgl. Belz 2021). In allen finde ich mich wieder – natürlich mal mehr, mal weniger stark. Vielleicht ist das Konglomerat aller Aspekte genau das, was man als ‚Spiritualität des Triathlons‘ umschreiben kann. Und vermutlich gilt ähnliches auch für den schillernden Begriff einer ‚christliche Spiritualität‘.

Schwimmen Helmut Jansen Spiritualität triathlon

Ich möchte an dieser Stellen jedoch keine weitere Begriffsdefinition von Spiritualität vorschlagen. Gleichzeitig will ich nicht leugnen, dass ich viele ‚Nebenwirkungen‘ des Triathlons genieße, die sich – wie oben beschrieben – nebenbei einstellen können, sich jedoch nicht herstellen lassen: (1) Ich freue mich über Leistungssteigerungen und Erfolge! Sie sind Ergebnis eines geduldigen, konsistenten Trainings; nach einem festen Rhythmus von Intensität und Entlastung. (2) Ich entdecke überrascht körperliche Veränderungen! Ich hätte nicht die Kraft und fände es auch albern, einem Körperkult zu huldigen. Aber es tut schon sehr gut, sich in einem gesunden Körper zuhause fühlen zu können. (3) Ich liebe das körperliche Erleben! Gerade die langen Läufe und der Kampf mit der einsetzenden Müdigkeit, aber auch widrige Wetterbedingungen können – sobald sie bewusst akzeptiert werden – zu einer ganz neuen Erfahrung werden. Und ebenso das Genießen der Erschöpfung nach dem Training! Es gibt kaum etwas schöneres als der Anstrengung nachzuspüren. Es sind für mich die kontemplativen Momente im Sport. (4) Ich lasse mich von plötzlichen Inspirationen überwältigen! Anders als beim Grübeln über Probleme erlebe ich in Bewegung und Natur Situationen komplett neuer Gedanken, Geistesblitze und unerwarteter Ideen.

Sport ist für mich zur Schatztruhe von Kreativität geworden. Mark Rowlands hat es treffend formuliert: „Das Laufen eröffnet Gedanken einen Spielraum“ (Rowlands 2015, 70).

Der Abenteurer Erling Kagge ist zwar kein Triathlet, aber er macht auf seinen Expeditionen mitunter tiefe kontemplative Erfahrungen: „Je länger ich gehe, desto weniger trenne ich zwischen Körper, Geist und Umgebung. Die äußere und die innere Welt gehen ineinander über. Dann bin ich kein Beobachter mehr, der sich die Natur ansieht, sondern mein Körper ist involviert“ (Kagge 2020, 120). Damit beschreibt er einen Bewusstseins-Zustand, den ich auch von langen Trainingseinheiten kenne.

Man muss nicht mit dem Triathlon-Coach Roy Hinnen mitgehen, der Triathlon-Training mit Zen verbindet: „Mit dem ZEN Triathlon-Training wollen wir erreichen, von der ersten Sekunde des Trainings an voll da zu sein. Frei von Gedanken an die Arbeit, an die Zukunft oder das bevorstehende harte Set“ (Hinnen 2016, 330). Aber die kontemplativen Momente, die sich aus der Leere des freigelaufenen Kopfes ergeben und die für mich auch zur kreativen Inspirationsquelle werden, ähneln stark dem Erleben bei kontemplativen Exerzitien.

Meine These ist deshalb, dass sich das, was sich hinter dem Begriff von Spiritualität verbergen könnte, vor allem dann – als Nebenprodukt – ereignet, wenn es nicht explizit angestrebt wird. Und da es selbstwidersprüchlich wäre, einen mentalen Modus von Absichtslosigkeit, Offenheit und Leere herstellen zu wollen, bleibt nur der Umweg über Übungen und Formen wie z. B. Meditation und Kontemplation, aber eben auch andere Tätigkeiten, die dieses kontemplativ-meditative Element mitbringen. Und da ist es egal, ob es sich um Triathlon oder Handarbeit handelt. Zu konkreteren spirituellen Triathlon-Zuschreibungen kann ich mich persönlich nicht durchringen, denn viel zu gerne treibe ich den Sport um seiner selbst willen und möchte ihn nicht verzwecken.

Vielleicht ist es auch einfach nur die Fähigkeit des Menschen zur Transzendenz, die es uns ermöglicht, nahezu in allem Handeln eine spirituelle Dimension erkennen zu können. Als Christ deute ich dann das Erlebte im Rahmen meines religiösen Denkhorizonts. Der Triathlon ermöglicht mir neue und ganz andere Transzendenzerfahrungen. Der Umkehrschluss schießt dann aber vermutlich über das Ziel hinaus und versucht möglicherweise dem Triathlon etwas unterzujubeln, was er per se nicht mitbringt: Spiritualität.

Hier mein Video zum Ironman in Frankfurt 2021

LITERATUR

Austin, Michael. W. (Hg.), Die Philosophie des Laufens, Frankfurt 2018.

Belz, Frank-Martin, Challenge Ironman. Auf der Suche nach Sinn, Frankfurt 2021.

Hinnen, Roy, Triathlon total, Frankfurt 2016.

Kagge, Erling, Gehen. Weiter gehen. Eine Anleitung, Berlin 2020.

Murakami, Haruki, Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede, München 2010.

Rowlands, Mark, Der Läufer und der Wolf. Wie ein wildes Tier uns den richtigen Weg zeigt, München 2015.

Schneider, Stefan, Ist Laufen Beten? Spirituelle Dimensionen sportlicher Aktivität und (neuro-)physiologische Dimensionen christlicher Spiritualität, Bonn 2013.

Stocks, Michael, 240 Kilometer in 24 Stunden. Was mein beim Laufen übers Leben lernt, Grünwald 2022.

Triathlon und Spiritualität Helmut Jansen Rennrad

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2 Kommentare

Danke fürs Teilen deiner Gedanken. Aus deinem Artikel nehme ich einiges mit. Am meisten hat mich angesprochen, den Sport einfach um des Sport Willens zu machen und ihn nicht Mittel-zum-Zweck werden zu lassen. Die Verlockung ist laut und in diese Falle tappe ich schnell.

Spannend, was noch alles hinter deinem YouTube Kanal steckt – gerade weil man „zufällig drüber Stolpern muss“.

Elske

Super spannender Blog-Beitrag!

Karin Maurer

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