Midlife: Krise?
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Im Einflussbereich der Frage, warum man sich im mittleren Alter zu einem Ironman anmeldet, lauert natürlich irgendwo auch das böse Wort „midlife crisis“. Und so hatte auch ich mit dieser Frage bzw. Infragestellung bereits mein Rendezvous.
Es ist wie bei einem Blind Date: Hat man sich sein Gegenüber eigentlich ganz anders vorgestellt, kann man beim ersten Anblick auch nicht sofort kehrt machen und gehen. Ich war höflich und hatte das eine oder andere Glas Wein mit der zunächst ungewollten Begegnung getrunken – man muss ja nicht gleich heiraten!
Krise kommt ursprünglich aus dem Griechischen und heißt zunächst „Entscheidung“. Krise ist verwandt mit den Begriffen Kritik und kritisch. Im heutigen Sprachgebrauch markieren Krisen Situationen, die Entscheidungen notwendig machen, um nicht in einer Katastrophe zu enden. Insofern verstehe ich Krisen als Bewusstwerdungsprozesse von Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten, die mir die Not-Wendigkeit von Selbstverantwortung und die Chancen von Alternativen vor Augen führen. Puh!
Was ich sagen will: Eine Krise ist ein Erwachen aus Routinen und Selbstverständlichkeiten. Man ist aufgeschreckt, weil man anfängt zu hinterfragen statt Gewohntes für selbstverständlich zu halten. Ein schöner Spruch, den ich dazu mal an einer Hauswand gelesen hatte, lautet:
„Von außen sieht die Karriereleiter aus wie ein Hamsterrad!“
Eine Krise ist keine Katastrophe, sondern der Moment und die Möglichkeit, etwas zu ändern.
Aber zurück zum Ironman. Bei mir war die Krise sicherlich meine längere Krankheit, die mich in allen Bewegungen massiv eingeschränkt und mir doch zugleich den Wert von Bewegung neu erschlossen hat. Jeder Schritt, den ich wieder schmerzfrei gehen konnte wurde zu einem Erlebnis. Dieser neuen Qualität wollte ich in Zukunft mehr Raum geben. Damit verschoben sich einige Gewichtungen in meinem Leben. Sehr zum Positiven, wie ich finde!
Vielleicht hat die Krankheit eine spätere „Midlife crisis“ vorweggenommen. Wie auch immer: Mir wurde klar, dass ich Leben und Alltag stärker selbst bestimmen wollte, bevor sich noch mehr Routinen einspielen würden.
Ein strukturiertes Training, klare und erreichbare Ziele waren dafür wunderbar geeignete Maßnahmen.
Ich entdeckte, dass sich vieles aus der Trainingswissenschaft sehr gut auf den Alltag übertragen ließ und dass Sport und Bewegung nicht bloß „irgendwie untergebracht werden müssen“, sondern vielmehr eine immense Bereicherung und Inspirationsquelle darstellen.
Es gibt eine schöne Grafik in Erling Kagges „Philosophie für Abenteurer“, ein Diagramm das zwei entgegenlaufenden Linien darstellt: Die eine bezeichnet die mit dem Lebensalter ansteigende Möglichkeit, Träume zu realisieren, die andere den linear absteigenden Willen, Träume auch wirklich zu realisieren.
Die Midlife crisis ist vielleicht der Zeitpunkt, an dem man erkennt, dass – wenn man nur wollte – Träume längst real sein könnten. Und dass man den Absprung von der sinkenden Wollenslinie auf die Realisierungslinie von Tag zu Tag immer schwerer bewerkstelligen könnte.
Ich vermute, es gibt hier kein „zu früh“ und auch kein „zu spät“. Entscheidend ist, dass ich aufwache und mich entscheide, mir Ziele zu setzen. Die können und dürfen ja zunächst ganz klein sein.