Glaubenssätze im systemischen Coaching auflösen

Glaubenssätze auflösen

Lassen sich Glaubenssätze überhaupt auflösen? Im Internet zumindest stößt man auf allerlei „erprobte“ oder „erfolgreiche“ Rezepte und Methoden. Ganz so simpel ist es sicher nicht! Deshalb an dieser Stelle gleich vorneweg: Ich denke nicht so einfach und mechanistisch vom Menschen, als gäbe es eine Art Hebel, mit dem ich mein bisheriges Verhalten und meine Einstellungen mal eben ändern könnte. Zum Glück denken und handeln Menschen viel komplexer als nach dem eindimensionalen Reiz-Reaktions-Schema!

Was sind Glaubenssätze?

Aber was sind Glaubenssätze? Ich würde sie in die Nähe von Überzeugungen rücken. Systemtheoretisch betrachtet sind es Komplexitätsreduktionen, die in unübersichtlichen Kontexten Handlungsfähigkeit und Orientierung erzeugen sollen. Es sind stabile und zugleich stabilisierende Annahmen, die sich nicht nur aus Erfahrungen entwickelt haben, sondern auch in Zukunft als Interpretationsrahmen für Ereignisse und Herausforderungen dienen sollen. Konstruktivistisch verstanden sind sie Verstehenshilfen, die ich im Laufe der Zeit durch kontinuierliche Anpassung aktiv entwickelt habe. Die Erkenntnis, dass ich also selbst der Baumeister meiner Deutungsmuster bin, muss mich nicht erschrecken: Vielmehr ermöglicht mir diese Einsicht, dass ich meinen eigenen Glaubenssätzen nicht ausgeliefert bin, sondern sie tagtäglich gestalte und anpasse (ein „Nicht-Nichtanpassen“ wäre im Sinne Watzlawicks also gar nicht möglich). Ich erfahre mich als autonom handelnd – also ganz im griechischen Wortsinn als Selbst-Gesetzgebender (autos-nomos).

Von diesem Standpunkt aus ist der Weg geebnet, einmal etwas anderes auszuprobieren, eine andere Brille aufzusetzen oder alternative Muster durchzuspielen. Hilfreich ist es dabei, nicht gleich das Ruder um 180 Grad herumzureißen, als gäbe es nur Schwarz und Weiß. Vielmehr lohnt sich der Blick auf erste kleine Veränderungen und die möglichen Auswirkungen, die diese gegebenenfalls mit sich bringen. Unterstützen können dabei klassische Interventionen, wie sie die systemischen, lösungs- und ressourcenorientierten Ansätze bieten. Zwei davon möchte ich hier in Bezug auf das Thema „Glaubenssätze auflösen“ exemplarisch anwenden.

Mögliche Interventionen, um Glaubenssätze aufzulösen

1. Skalieren

Skalierungsfragen eignen sich hervorragend, um den Blick von anscheinend nie erreichbaren Zielvorhaben auf bisher nicht wahrgenommene erste kleine Erfolge zu lenken, um daraus Zuversicht für den nächsten Schritt zu aktivieren. Auf den Satz „Das schaffe ich nicht“ könnte zurück gefragt werden: „Angenommen Du schaust mit einer Lupe auf die letzte Woche zurück: Wann hast Du das letzte Mal gedacht: »Ich schaffe das nicht« und warst dann doch nicht ganz erfolglos?“ Mit Sicherheit fällt der Person nicht nur eine Situation ein, sondern mit ein etwas Nachdenken gleich mehrere. Dann gibt es nichts Schöneres, als dem Erzählen zu lauschen und Zeuge davon zu werden, wie sich totale Resignation langsam in eine zarte Zuversicht verwandelt. Anschließend kann gefragt werden: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wenn 1 für »ich schaffe das nicht« und 10 für das Gegenteil steht: Bei welcher Zahl stehst Du gerade?“ Viellicht nennt mein Gegenüber dann eine 2 und ich kann meine Überraschung ausdrücken und Komplimente machen, denn vor ein paar Minuten klang das noch ganz anders. Und dann frage ich, welche Zahl die Person in nächster Zeit gerne erreichen möchte und was sie dort wohl schon ein wenig anders machen würde. Sehr stärkend ist auch die Frage, welche „Beweise“ (aus der Vergangenheit und Gegenwart) es für sie gibt, dass sie diese Zahl tatsächlich erreichen wird.

2. Tetralemma

In ähnlicher Weise hilft das sogenannte Tetralemma-Modell, den Blick zu weiten und Alternativen zu entdecken. Üblicherweise wird das Tetralemma bei festgefahrenen Entscheidungsproblemen zwischen zwei gegensätzlichen Optionen eingesetzt, um aus einem Di-lemma zu befreien: Hierzu wird zunächst nach den „Sowohl-Als-Auch“ gefragt, also einer möglichen Kombination der beiden Alternativen; dann nach dem „Weder-Noch“. Bezogen auf unseren Beispiel-Glaubenssatz „Ich kann das nicht“ würden die Antworten irgendwo im Bereich: „Ich kann das (nur) ein bisschen“ liegen und es könnte nachgefragt werden, woran man dieses „ein bisschen“ erlennen könnte, was die Person hier anders macht oder was andere an dem veränderten Verhalten bemerken würden etc. Die letzte Frage beim Tetralemma lautet: „All das nicht nicht“ und vielleicht wird meinem Gegenüber bewusst, dass es gar nicht um die Frage des Könnens geht, sondern vielleicht um überzogene Selbsterwartungen oder um fremdbestimmte Ziele…

Fazit

Glaubenssätze sind Überzeugungen, die sich aus systemtheoretischer Sicht nicht nur über die Zeit gebildet haben, sondern auch in Zukunft Stabilität und Sinn geben wollen und damit das eigene Deutungssystem erhalten. Mit anderen Worten: Sie intendieren immer auch gute Absichten.

Vor allem aber beschreiben sie keine Fakten, sondern sind das aktuelle Ergebnis einer fortlaufenden Konstruktion von Wirklichkeit. Coachees können deshalb angeregt werden, ihre Deutungskonstrukte systemischer – also umfassender – zu explizieren, indem ihnen alternative Interpretationsschemata angeboten werden, die jenseits der bekannten und bewährten Muster liegen.

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